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Nacktmull: Risiken und Nebenwirkungen

Schreibstar 2018
Veröffentlich in "Die schönsten Tiergeschichten"

So hässlich ist sie also, meine Zukunft: schinkenrosa, nacktkatzenrunzlig und zerknittert wie ein missratener Cervelat. Ein Geschenk der Natur in abstossender Verpackung, dieser Nacktmull. Die Nager wuseln durch ihre Plexiglasröhren, quetschen sich übereinander, untereinander, beschnuppern sich, fast blind, wie sie sind, ihre Schnauzhaarkränze zucken.

   „Die Nebenwirkungen sind vernachlässigbar.“

   Ich reisse mich los von den Nacktmullen in ihren Röhren, wende mich Frau Doktor Glaber zu, Laborkittel, Stecknadelkopfaugen, Butzenscheibenbrillengläser, vorstehende Zähne.

   Im Sprachduktus eines Beipackzettels leiert sie eine ganze Liste herunter: „Etwas Schwindel, selten Lichtempfindlichkeit, eine Vorliebe für enge Räume, unterirdische Lebensweise und eine niedrige Sauerstoffkonzentration. Das haben die Gene eines baulebenden Nagers wie dem Nacktmull so an sich.“

   Sie lacht, duscht mich mit ihrer feuchten Aussprache. Ich ducke mich. Vergeblich.

   „Diese Nebenwirkungen sind nichts im Vergleich zu dem, was Sie erwartet, wenn Sie der Krebs von innen her auffrisst.“

Ein Stich im Oberbauch erinnert mich daran. Trotzdem. „Ich habe gehört, dass diese Gentherapie die Fruchtbarkeit verringern soll ...“

   Doktor Glaber winkt ab. „Ach, das sind Gerüchte, wenige Probanden. Vielleicht schon vorher nicht die besten Hengste.“

Sie lacht quiekend, diesmal trifft mich ein ganzer Schwall fauligen Speichels. Ich versuche, meine hochsteigende Übelkeit niederzukämpfen. Sicher der Krebs.

   „Denken Sie an die Vorteile, die Ihnen die Nacktmullgene bringen.“ Sie tätschelt meinen Arm. Walrossborsten kratzen über meine Haut. Mir schaudert ob ihrer Erdferkelgrabnägel.

   „Freiheit von Schmerz, von Krebs, ja vom Alter. Sie können zweihundert, dreihundert Jahre alt werden. Und das bei bester Gesundheit.“

   Nun ja, das mit dem Alter ist ja schön und recht, wer’s denn glaubt. Was zählt, ist einzig, dass die Gene des Nacktmulls meinen Krebs und die Schmerzen besiegen können. Alles andere ist nur angenehmer Nebeneffekt. Beipackzettel halt.

   „Und, haben Sie sich entschieden?“

   Ich nicke und schiebe Doktor Glaber den Packen rüber. Mein früheres Leben, Haus, Auto, Erbe, zu Geld gemacht, im Eintausch für ein neues Leben.

   Ohne Kommentar lässt Doktor Glaber das Paket in einer Schublade verschwinden. „Dann wollen wir mal. Bitte machen Sie sich oben frei.“

​

   Die Prozedur des somatischen Gentransfers ist erstaunlich simpel: ich lege mich auf den Schragen, Doktor Glaber hängt mich an eine Infusion und eine halbe Stunde später sind die Nacktmullgene in mir drin. So nützliche Helferlein wie die Genscheren Crispr-CAS9 bauen sie nun in jeder meiner Zellen in mein Genom ein, erklärt mir Dr. Nacktmull Glaber, und dann beginnen sie sofort damit, meinen Krebszellen den Garaus zu machen.

​

   Ich muss eingeschlafen sein. Doktor Glaber rüttelt mich wach, ich öffne die Augen. Sie beugt sich über mich. Blinzelt durch ihre Bierglasbodenbrille. Habe ich sie vorher für hässlich gehalten? Ihre Knopfaugen leuchten, ihr Mund verzieht sich zu einem Lächeln voll bezaubernder Furchen. Ich muss mich zusammenreissen, um ihre Krähenfüsse, ihre lieblichen Falten nicht zu liebkosen.

   „Und, wie fühlst du dich?“

   Vorher hat sie mich noch nicht geduzt.

   „Ich fühle mich ... wunderbar!“

   Und wirklich. Die Schmerzen: weg. Der Druck im Oberbauch: gewichen. Ich fühle mich, als könnte ich mit blossen Händen Tunnels graben! Ich betrachte meine Finger. Wie können meine Nägel in so kurzer Zeit zu Krallen gewachsen sein?

   „Steh auf!“

   Ich gleite vom Schragen.

   Doktor Glaber umkreist mich, lauernd wie eine Mausekatze.

   „Nicht schlecht.“

   Sie baut sich vor mir auf.

   „Wollen doch mal sehn, ob die Therapie ein Erfolg war. Auf die Knie!“

   Ich werfe mich vor ihr zu Boden. Meine Gebieterin.

   „Sag es!“

   „Meine Gebieterin! Ich bin dein ergebenster Diener. Befehle und ich gehorche!“

   Sie nickt und tätschelt mir den Kopf. Mir wird heiss und kalt.

   „Du würdest in meinen Harem passen.“ Ihre Nagezähne blitzen auf. 

   „Vielleicht hättest du dich vorher über die Spender der   Verjüngungsgene informieren sollen, mein Männchen. Bei den Nacktmullen herrscht eine einzige Königin. Ich. Alle anderen sind Sklaven. Risiken und Nebenwirkungen eben.“

   Nun bin ich gesund, aber Gefangener meiner Nacktmullgene.

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